Donnerstag, 24. Oktober 2019
Unter den Talaren
Den alten 68er-Sprechgesang "Unter den Talaren / Muff von 1000 Jahren" singe ich seit vielen Jahren schon auf die Melodey von "Lili Marleen" [1], meine Kinder sind damit aufgewachsen.

Wie auch immer, vor gar nicht so langer Zeit habe ich andernorts und jetzt auch hier über die Gefahren des Lachens geschrieben.

Ich schrieb unter anderem: "Nichts fürchtet der Mächtige so sehr wie ausgelacht zu werden, wenn er voll Würde einherschreitet oder herumsteht.

Das Bild ist von 1961, Universität Marburg. Kabarett pur. Der Rektor sieht aus wie der Bruder von Joseph Beuys, ohne es zu sein, die beiden hinteren Figuren erinnern mich an Rosenkranz und Güldenstern, die mal wieder gar nichts kapieren. Kabarett pur."

Das Bild habe ich vor Jahren gefunden, irgendwo in den unendlichen Weiten des Internets. Je öfter ich das Bild betrachtet habe, die darunter stehenden Zeilen gelesen habe, desto mehr kamen mir Zweifel. Ist das Bild vielleicht wirklich "Kabarett pur"? War ich einer Fälschung aufgesessen, einer dreisten Photomontage studentischer Revoluzzer? Das konnte doch gar nicht sein, drei Narrengesichter auf einem Bild, festgehalten im Augenblick ihrer allergrößten Narretei .

Auf der Suche nach etwas ganz Anderem bin ich vor kurzem wieder auf das Bild gestoßen, diesmal in einen größeren Zusammenhang gebettet. Die "Oberhessische Presse" aus Marburg berichtete 2009 über eine Ausstellung des Universitätsmuseums, anläßlich derer im Marburger Landgrafenschloß "Kostbarkeiten des Universitätsarchivs" gezeigt wurden. Das Bild zeigt, wie der damalige Rektor [2] Hans Erhard Bock von Theo Nebel und Georg Naumann in die Aula der Alten Universität geleitet wurden.

Ich war fassungslos. Das Bild ist echt.



_____________________________

[1] Damit man das singen kann, müssen natürlich einige ansonsten absolut überflüssige Silben wie "Lalalalala" eingefügt werden.

[2] Ich nutze die Gelegenheit, darauf hinzuweisen, daß die Wörter "Rektor" und "rektal" den gleichen Wortstamm haben. Die ackerdemische Sprache ist überhaupt nah am Scheißhaus ("Hajsl" sagt sowohl der Tscheche als auch der Österreicher) gebaut. Die alte Anrede "Magnifizenz" für den Universitätsrektor kommt vom lateinischen "magnum facere", was soviel heißt wie "groß machen", also scheißen. Aber, bittschön, "Kultur" kommt schließlich auch von "colere", das heißt Landbau betreiben. Die letztere Information stimmt sogar.

... link (2 Kommentare)   ... comment


Von den Gefahren des Lachens
Wer erinnert sich noch an Umberto Ecos im Mittelalter spielenden Kriminalroman "Der Name der Rose"? (Gott, wie lange ist das inzwischen her, seit ich das gelesen habe?) Es geht darin um das letzte, noch erhaltene Exemplar von Aristoteles' "Zweitem Buch der Poetik", das sich mit der Komödie und dem Lachen beschäftigt. Einer der Mönche hält dieses Buch für so gefährlich, daß er es vor den anderen Mönchen und damit letztlich vor der Nachwelt versteckt. Gefährlich ist ihm das Buch unter anderem deshalb, weil darin (angeblich, das Buch ist, wie gesagt, nicht mehr erhalten) von der subversiven Macht des Lachens und des Witzes gesprochen wird. Das Buch verbrennt und mit ihm die Bibliothek und das ganze Kloster.

Nichts fürchtet der Mächtige so sehr wie ausgelacht zu werden, wenn er voll Würde einherschreitet oder herumsteht.

Das Bild ist von 1961, Universität Marburg. Kabarett pur. Der Rektor sieht aus wie der Bruder von Joseph Beuys, ohne es zu sein, die beiden hinteren Figuren erinnern mich an Rosenkranz und Güldenstern, die mal wieder gar nichts kapieren. Ja, so war das früher. Und heute...

Dieses Bild ist aus dem Jahre 2009, Bonn. Und nein, das sind keine rheinischen Karnevalsjecken.

Stell dir vor, ein Bundespräsident wie der damalige Gauck sülzte seine üblichen Platitüden ab, und ein Teil des Publikums pfiffe und buhte ihn aus, würfe gar mit Eiern nach ihm. Was würde passieren? Großes Staatstheater würde sein, Gauck würde sich köstlich empören. Nun aber - Kopfkino - stell dir vor, ein Teil des Publikums, wäre groß genug, sich Gehör zu verschaffen und lachte ihn an den entsprechenden Passagen aus, bliebe ansonsten aber durchaus im Rahmen höflicher Konvention...

In seiner Dankesrede bei der Verleihung des Nobelpreises für Literatur 1997 sagte Dario Fo: "Die Macht, und zwar jede Macht, fürchtet nichts mehr als das Lachen, das Lächeln und den Spott. Sie sind Anzeichen für kritischen Sinn, Phantasie, Intelligenz und das Gegenteil von Fanatismus. Ich bin nicht mit der Idee zum Theater gegangen, Hamlet zu spielen, sondern mit der Absicht, ein Clown zu sein, ein Hanswurst."

Fos Ehefrau, die großartige Franca Rame, sagt zum gleichen Thema:

"Wir glauben, daß Klagen falsch ist. Du weinst, gehst traurig nach Hause, sagst: ‚wie schön hab ich geweint‘, und schläfst erleichtert ein. Nein, wir wollen Euch zum Lachen bringen... . Es öffnet sich nicht nur der Mund beim Lachen, sondern das Gehirn. Und ins Gehirn können Nägel der Vernunft eintreten. Ich hoffe, daß heute abend einige Leute mit Nägeln im Kopf heimgehen..."

Meine Schwester wurde mal im Unterricht von einem Lehrer zurechtgewiesen. Sie hat ihn angelächelt, nichts sonst, sie hat ihn stumm ausgelacht. Der Lehrer war irritiert, er verschärfte seine Rüge, meine Schwester lächelte immer noch. Das zog sich so eine Weile hin, der Lehrer wurde immer wütender, ganz offen wütend. Schließlich hat er im Unterricht weitergemacht, kochend vor Zorn. Was hätte er auch machen sollen? Ihr einen Verweis geben, weil sie gelächelt hatte?

Die Hohe Schule ist natürlich, wenn man Andere einen Höhergestellten auslachen läßt.

... link (1 Kommentar)   ... comment